Wolfram Linke
Pressesprecher
Wolfram Linke ist Pressesprecher des GVP. Davor arbeitete er 15 Jahre als Pressesprecher beim Vorgängerverband „iGZ“ und 18 Jahre als Redakteur bei einer Tageszeitung. Er hält regelmäßig Fachvorträge zum Thema Medien. Linke ist zertifizierter Online-Redakteur, Certified Microsoft Technology Associate (Windows und Netzwerke) und hat weitere Microsoft- sowie Adobe-Zertifikate. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Pressevereins Münster-Münsterland.
Telefon: +49 30 206098-5218
E-Mail
Massive Effizienzgewinne durch Künstliche Intelligenz
„KI sieht, was Du nicht siehst – die Renaissance von Persönlichkeitstests in der modernen Personalarbeit“ lautet das Thema von Prof. Dr. Florian Feltes, über das er beim INNOLAB ´24 am Mittwoch, 17. April, um 9.40 Uhr im SANAA-Gebäude auf dem Gelände des Welterbe Zollverein in Essen referieren wird. Zum weiten Feld des Einsatzes Künstlicher Intelligenz beim Recruiting äußerte er sich vorab in einem Exklusiv-Interview mit dem GVP:
Wie groß schätzen Sie das künftige Ausmaß des Einsatzes von KI für das Recruiting designierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein?
KI wird zukünftig ganz selbstverständlich zum Recruiting gehören, vor allem in großen Unternehmen. Die Rolle von HR hat sich grundlegend verändert. In der Vergangenheit haben Mitarbeiter:innen im Personalbereich vor allem Stellenanzeigen geschrieben, Lebensläufe gesichtet und Bewerbungsgespräche geführt. Diese Zeiten sind lange vorbei. Unternehmen sind sich sehr bewusst, dass ihre Mitarbeitenden das Wichtigste sind, was sie haben, trotz oder gerade wegen der fortschreitenden Technologisierung. In einer Welt, die sich so schnell verändert, brauchen sie zunehmend Menschen, die sich darin zurechtfinden, die komplexe Probleme überblicken, lösungsorientiert denken und selbstständig handeln können. Diese Talente wollen natürlich alle Unternehmen haben. Vor diesem Hintergrund ist Personalarbeit komplexer geworden. HRler:innen müssen Kandidat:innen aktiv anwerben, das Unternehmen auf unterschiedlichsten Kanälen attraktiv präsentieren und dort ansprechbar sein. Sie müssen aber auch die bereits vorhandenen Mitarbeitenden im Blick haben, deren Bedürfnisse nach Weiterentwicklung, ihre Eignung für neue Rollen im Unternehmen bis hin zu individuellen Wünschen, etwa mit Blick auf Arbeitsmodelle oder die persönliche Weiterentwicklung. Diese Aufgaben sind ohne Technologie mittlerweile kaum mehr zu bewältigen, zumal die jüngeren Talente es erwarten, sich auch digital auf unterschiedlichsten Wegen bewerben und äußern zu können. KI bringt hier massive Effizienzgewinne und entlastet HR von lästigen Routineaufgaben. Gleichzeitig kann die Technologie HR ganz neue Erkenntnisse über (potentielle) Mitarbeitende liefern, sodass Fehlbesetzungen möglichst vermieden werden. Um es kurz zu machen: An KI wird kaum ein:e HRler:in mehr vorbeikommen.
Wird sich die Charakteristik der Bewerbungen und deren Beurteilung durch die Disponenten ändern bzw. weiterentwicklen?
Die Art, wie Menschen sich bei Unternehmen bewerben, verändert sich sowieso. Viele Unternehmen haben sich vom klassischen Anschreiben mit Lebenslauf verabschiedet. Einige verzichten auf Fotos im Lebenslauf, um Vorurteilen entgegenzuwirken. Gleichzeitig haben Videobewerbungen eher an Popularität gewonnen, was Vorurteile verstärken kann. Es passiert also ganz viel parallel und mitunter sind die Entwicklungen widersprüchlich. Hier muss jedes Unternehmen seinen Weg finden, der zu den eigenen Werten und Präferenzen passt. Gleichzeitig sollte das Bewusstsein für Chancengleichheit und einen diskriminierungsfreien Bewerbungsprozess gestärkt werden.
Was die Eignung für eine Position angeht, denke ich, dass die reine Auflistung von Skills nicht ausreicht, um Bewerbende gut einschätzen zu können. Das belegen auch Studien über Fehlbesetzungen und die immensen Kosten, die sie nach sich ziehen. Entscheidend ist die Persönlichkeit der Bewerber:innen, ihre grundlegenden Charakterzüge. Es gibt Modelle aus der Psychologie, die verschiedene Sets an Eigenschaften in den Blick nehmen, etwa das unternehmerische Kapital einer Person mit Eigenschaften wie Risikobereitschaft, Selbstwirksamkeit und Resilienz. Aber auch Charakteristika mit Blick auf das Zwischenmenschliche, etwa Empathie oder Impulsivität. Wenn die Persönlichkeit einer Person zur Unternehmenskultur und zu den Zielen der Organisation passt, sind das schon mal beste Voraussetzungen. Fehlende Skills können meistens gelernt werden. Persönlichkeitsmerkmale lassen sich aber eben nicht am klassischen Lebenslauf ablesen. Und auch in Gesprächen wird man ihnen aufgrund erwünschter Antworten nicht auf den Grund kommen. Hier braucht es neue Bewerbungsformen, die zum Beispiel eine gezielte Persönlichkeitsanalyse durch KI zulassen.
Ist durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz langfristig mit einer Automatisierung im Bereich Recruiting zu rechnen?
Eine vollständige Automatisierung sehe ich derzeit nicht, zumal der EU AI Act rechtliche Grenzen zieht. Und ich halte es auch nicht für erstrebenswert. Die letzte Entscheidung darüber, ob jemand ins Unternehmen passt, sollte in den meisten Fällen ein Mensch treffen. Die einzige Ausnahme sehe ich in Bereichen, in denen temporär viele Arbeitskräfte für eher körperliche Arbeiten gebraucht werden. Ich denke da zum Beispiel an die Ernte oder an Werbeaktionen, bei denen über eine begrenzte Zeit viele Werbemittel verpackt und verteilt werden müssen. Hier ist es durchaus denkbar, dass der Bewerbungs- und Einstellungsprozess vollautomatisiert erfolgt. Das passiert in Ansätzen auch schon. Aber wenn wir uns die ganze HR-Branche anschauen, sind wir in puncto Automatisierung und Einsatz von KI noch ganz am Anfang. Andere Bereiche sind da viel weiter. Dabei sind die Vorteile, die KI-Technologie für die Personalarbeit bringt, besonders groß.
Ähnliche Frage von der anderen Seite des Schreibtisches: Werden Personaldienstleistungsunternehmen in Zukunft nur noch künstlich generierte Bewerbungen auf den Tisch bekommen?
Dass Menschen sich KI-Tools wie ChatGPT bedienen, um zum Beispiel ein gutes Anschreiben zu verfassen, ist naheliegend und meiner Meinung nach auch völlig legitim. Es kann gerade für Menschen, die die Muttersprache im Unternehmen nicht perfekt beherrschen oder sich mit den subtilen “Codes” einer Bewerbung in Deutschland nicht auskennen, helfen, überhaupt in die engere Wahl zu kommen. Zudem spricht es für die Bewerbenden, wenn sie die Tools, mit denen sie perspektivisch ohnehin arbeiten werden, beherrschen und ausprobieren. Am Ende sind wir wieder bei dem Punkt, den ich oben bereits erwähnt habe: Unternehmen müssen sich neue Wege einfallen lassen, um potentielle Mitarbeitende wirklich kennenzulernen und sollten dabei vor allem auf deren Persönlichkeit schauen. KI kann ihnen helfen, die passenden Menschen für die passenden Positionen zu finden, ganz egal, ob der Großteil des initialen Anschreibens von einem Chatbot stammt.
Welchen Einfluss wird die KI auf Persönlichkeitstests haben?
Ich denke, Persönlichkeitstests werden wieder an Bedeutung gewinnen, auch, weil sie dank der KI-Technologie viel besser und verlässlicher werden. Bei zortify nutzen wir zum Beispiel eine KI, die anhand von Antworten auf offene Fragen Persönlichkeitsmerkmale identifizieren kann. Das ist für beide Seiten toll: Bewerbende können ganz natürlich auf Fragen antworten und HR-Mitarbeiter:innen erhalten eine wissenschaftlich fundierte und visuell ansprechende Analyse der wichtigsten Eigenschaften der Person, die sich auf eine Stelle bewirbt. Erwünschte Antworten fallen so weniger ins Gewicht. Und es sind keine tagelangen Assessments mehr nötig, die viel Zeit und Geld kosten und für alle Beteiligten Stress bedeuten. Ein Bewerbungsprozess, der nicht lange dauert, Spaß macht und bei dem alle Beteiligten – auch die Bewerbenden selbst – etwas Relevantes über sich oder die andere Person lernen – ich würde sagen, HR kann der Zukunft zumindest mit Blick auf die technologischen Möglichkeiten sehr optimistisch entgegensehen.