Tarifvertragswerk, Mischbetriebe und Politik im Fokus des Rechtsforums

„Wir haben eine hervorragende Mischung aus Praxis und Politik“, zog Dr. Martin Dreyer, stellvertretender GVP-Hauptgeschäftsführer, zum Auftakt des zweiten Rechtsforumstages in Erfurt ein erstes Fazit.

Ärger um Mindestlohn

In seiner Begrüßung sprach der Jurist unter anderem über das politische Hickhack des Mindestlohns: „Ich habe die Versuchung der Politik unterschätzt, in den Mindestlohn einzugreifen.“ Derzeit gebe es Versuche, die Mindestlohnkommission unter Druck zu setzen, um eine Anhebung auf 15 Euro durchzusetzen. „Dieses Eingreifen ist frustrierend und es hat mich auch juristisch betrachtet sehr geärgert, denn die Forderung wird juristisch begründet“, erläuterte Dreyer.

Stolperfallen für Mischbetriebe

Was es mit Unternehmen, die neben der Arbeitnehmerüberlassung auch andere wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben auf sich hat, erläuterte Dr. Guido Motz, Fachanwalt für Arbeitsrecht, in seiner Keynote zum Thema „Atypische Beschäftigung in der Zeitarbeit – Mischbetriebe und flexible Beschäftigungsmodelle“. Als Beispiel für Mischbetriebe nannte Motz Automotive, die IT-Branche oder auch den Wechsel bei Mitarbeitenden zwischen internem und externem Einsatz.

Höhere Flexibilität

Vorteile dieser Form seien höhere Flexibilität bei der Reaktion auf Kundenwünsche, Erweiterung des Geschäftsfeldes, effizienter Personaleinsatz und Sicherung des Know-Hows der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es gebe allerdings auch Nachteile beim Mischbetrieb-Modell wie etwa das Risiko der Vermischung von Dienstleistungen und Überlassungen, höhere Anforderungen an die Compliance und den Umstellungsaufwand bei der Einführung von Überlassungen.

Einsatzformen abgrenzen

Wichtig sei unter anderem die Abgrenzung der Einsatzformen und die Erlaubnispflicht der Arbeitnehmerüberlassung. „Auch Mischunternehmen ohne überwiegende Arbeitnehmerüberlassung ist eine Bezugnahme auf Tarifverträge der Zeitarbeit nicht verwehrt“, zitierte Motz eine Entscheidung des Bundessozialgerichts. Diese Entscheidung habe die Tätigkeitsfelder enorm erweitert. Es empfehle sich, die Zeitarbeitstarifverträge durchgängig anzuwenden, eine Arbeitszeitkontenregelung bei erforderlicher höherer Arbeitszeit und der Einsatz eines konzernangehörigen Personaldienstleisters.

Problem bei Rückkehr zur Tarif-Nichtanwendung

Motz gab in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass eine Rückkehr zur Nicht-Tarifanwendung ebenso problematisch sei wie eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die unmittelbare Neueinstellung ohne Tarifanwendung. Möglich sei die Nutzung befristeter Arbeitsverträge – Vorteile seien bei Bedarf die Rücksichtnahme auf Mitarbeiterwünsche, ein reduzierter Verwaltungsaufwand sowie ein effizienter Personaleinsatz. Anschließend ging es wieder in die drei Praxisforen, die bereits am Vortag anliefen, so dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jedes Forum besuchen konnten. 

Freie Meinungsäußerung

Dr. Vera Luickhardt, METIS Rechtsanwälte, thematisierte im Anschluss die Politik am Arbeitsplatz – „Wolfsgruß, Klimakleber und Diversity – Politik am Arbeitsplatz: Dos and Don’ts“ lautete der Titel ihres Beitrags. Jeder hat in Deutschland das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Das bedeute, dass Arbeitgeber und Betriebsräte darüber wachen, dass Benachteiligungen unterbleiben. Zudem bestehe bei personellen Maßnahmen ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrates, wenn der Betriebsfrieden durch gesetzwidriges Verhalten gestört werde. Das gelte ebenso für die grobe Verletzung von Grundsätzen, und insbesondere bei rassistischer oder fremdenfeindlicher Betätigung.

Diskussionen nicht per se verbieten

Wenn Politik Thema am Arbeitsplatz ist, können Arbeitgeber ihren Beschäftigten politische Diskussionen im Betrieb nicht per se verbieten und es existieren, so die Referentin, strenge Anforderungen für die Anordnung eines gänzlich neutralen Betriebes. Ein Arbeitgeber könne der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter nicht zu einer bestimmten politischen Meinung anweisen oder sich parteipolitisch gänzlich zurückzuhalten. Entsprechendes gelte für gewerkschaftliches Engagement.

Arbeitsgerichte sind gefragt

Im Zweifel seien die Arbeitsgerichte gefragt, die dann prüfen müssen, ob etwa nur ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung abgegeben wurde oder ob es sich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen Einzelne handele. Ebenfalls zu berücksichtigen sei der Kontakt des Arbeitnehmers zur Kundschaft, ob eine konkrete Gefährdung der Reputation des Arbeitgebers vorliege. Zu prüfen sei auch, ob ein einmaliger Vorfall oder ein beharrliches Verhalten zugrunde liege.

Provozierende Wirkung

Der Arbeitgeber dürfe allerdings politische und ähnliche Aktivitäten untersagen, wenn sie laut Luickhardt eine provozierende Wirkung entfalten oder andere Belegschaftsangehörige dadurch belästigt werden. Der Betriebsfrieden dürfe nicht erheblich gestört und damit die Erfüllung der Arbeitspflicht beeinträchtigt werden. Außerdienstliches Verhalten könne geregelt werden, wenn es unmittelbar mit der Arbeitsleistung zusammenhänge. Zu guter Letzt könne die private Nutzung von Internet und E-Mail im Betrieb während der Arbeitszeit verboten werden. Dann war ein Griff in die Kiste gefragt – Vera Luickhardt agierte als Glücksfee für ein verlostes kostenloses GVP-Seminar und Dr. Frederik Neyheusel lockerte das Programm mit einer juristischen Kabarettnummer auf.

Für und Wider des Dynamisierungspakets

Das Dynamisierungspaket der Bundesregierung stand im Fokus einer Diskussionsrunde mit Dr. Oliver Stettes, IW Köln, Kristian Schalter, BDA, und Christian Schadow, ver.di. Moderiert von GVP-Hauptgeschäftsführer Florian Swyter sprachen die Diskutanten unter anderem über die derzeitige wirtschaftliche Situation. „Die Lage ist trügerisch“, wertete Stettes. Das Geschäftsmodell Deutschland sei wahnsinnig unter Druck geraten. Um der Krise zu begegnen, müsse die Mobilität erhöht werden. Es gelte zudem, Maßnahmen zu formulieren, um die Situation zu stabilisieren. Der Verlust von Arbeitskraft müsse kompensiert werden.

Streitfall Mindestlöhne

Die Mindestlöhne, so Schadow, müssten erhöht werden.15 Euro seien nötig, um später nicht in die Armutsrente zu fallen. Die Energiewende sei konsequenter umzusetzen, was auch Strukturreformen bedinge. Schalter verneinte die Erhöhung des Mindestlohns und betonte, es gebe jetzt kein schnelles Vorangehen.

Bürokratieabbau gefordert

Aktuelle Regulierungen und Belastungen müssten einfach erstmal liegengelassen werden – die Politik agiere aktuell, als gäbe es kein Morgen. Bürokratieabbau und Arbeit attraktiver machen, forderte Schalter. Ein großes Problem sei auch der demographische Wandel – immer mehr Beschäftigte wählen den Gang in die Rente schon vor Erreichen der Altersgrenze.

Elefanten im eigenen Raum

„Man traut sich nicht an die Elefanten im eigenen Raum“, stellte Stettes mit Blick auf den damit verbundenen Fachkräftemangel fest. Zum Thema Beschäftigung Drittstaatsangehöriger in der Zeitarbeit unterstrich Schadow, dies werde von den Gewerkschaften abgelehnt. Befürchtet werde ein Unterlaufen von tariflichen Bestimmungen. Christian Schalter unterstrich, Zeitarbeit sei eine immens wichtige Branche für die Wirtschaft. Gerade in der Zeitarbeit seien Profis unterwegs, die darauf spezialisiert seien, solche Fachkräfte in Arbeit zu bringen. Oliver Stettes erklärte, er halte das Misstrauen gegenüber der Zeitarbeit für fatal. Zeitarbeit sei unterm strich ja quasi eine Zwischenstation, um Drittstaatler in den Arbeitsmarkt zu bringen.

Einheitlicher Tarifvertrag zu Ostern?

Sven Kramer, Mitglied des GVP-Präsidiums, und Dr. Martin Dreyer, informierten das Plenum abschließend über die Zusammenführung der iGZ- und BAP-Tarifverträge: Aktuell, so Dreyer, existieren parallel noch zwei Tarifverträge und Tarifkommissionen, was der Verschmelzung geschuldet, aber dennoch recht ungewöhnlich sei. Das sei indes nur eine Übergangsregelung. Sven Kramer erläuterte, der Entgelttarifvertrag laufe noch bis Oktober 2025 – im Idealfall sei man bis Sommer ´25 mit der Zusammenführung fertig, dann beginnen die Tarifverhandlungen mit dem Sozialpartner. Er rechne im Optimalfall mit einer Realisierung um Ostern 2025 – „aber nicht um jeden Preis.“ Dafür seien kluge Kompromisse und Bereitschaft dazu gefragt.